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Ein Vormittag mit den Johanna Quandt-Professorinnen

2016 schrieb die Stiftung Charité zum ersten Mal die BIH Johanna Quandt-Professuren aus. Diese Professuren sind gezielt an Frauen gerichtet und mit einem echten Tenure Track ausgestattet. Die Festlegung eines thematischen Schwerpunkts wurde außerdem den Kandidatinnen selbst überlassen. Unter den zahlreichen Bewerberinnen setzten sich schließlich die Berlinerinnen Il-Kang Na und Petra Ritter sowie die in Aachen geborene Ute Scholl durch. Ein Jahr nach ihrer Berufung trafen wir die drei Professorinnen für einen gemeinsamen Spaziergang über den Campus der Charité in Mitte. Was sich hinter den ungewöhnlichen Titeln der Professuren verbirgt und wer die Personen hinter der Forschung sind, erfahren Sie hier auf FACES:

Sie wurden alle drei zur selben Zeit als Johanna Quandt-Professorinnen berufen und haben sich die Schwerpunkte Ihrer Professuren selbst ausgesucht. Können Sie in ein bis zwei Sätzen den Inhalt Ihrer jeweiligen Professur zusammenfassen?

Na: Schwerpunkt meiner Forschung ist die Frage, wie sich Tumore und das Immunsystem sowie deren Interaktion im Verlauf der Behandlung verändern. Ziel ist es, besser zu verstehen, welche Veränderungen in den Tumoren entstehen und welche Dysregulationen im Immunsystem auftreten. So könnten Marker, neue Moleküle oder Antigene gefunden werden, die als Ansatzpunkte für neue Therapien dienen, sowie auch Strategien zur Stärkung der Immunfunktion entwickelt werden.

Ritter: Bei meiner Professur geht es um Simulationen des Gehirns. Wir bauen personalisierte, digitale Avatare vom Gehirn, um dann am Computer bestimmte Therapien zu testen -- zum Beispiel, wie man bei Epilepsie chirurgisch eingreifen kann. Damit inspirieren oder befruchten wir auch die Künstliche Intelligenz.

Scholl: Der Titel meiner Professur fasst mein Arbeitsgebiet komplett zusammen: Hypertonie und die molekulare Biologie endokriner Tumore. Meine Arbeitsgruppe versucht, Bluthochdruck besser zu verstehen und untersucht insbesondere eine Unterform, bei der es zu einer zu hohen Produktion des Nebennierenhormons Aldosteron kommt. Wir beschäftigen uns mit der Genetik und der Pathophysiologie dieser Erkrankung. Außerdem versuchen wir, neue Behandlungen zu entwickeln. Das steht allerdings nicht im Vordergrund und wird noch einige Jahre dauern.

Die individualisierte Tumortherapie scheint für Sie alle von Relevanz zu sein. Daher die ambitionierte Frage: Was wird man Krebspatienten, die in zehn Jahren an die Charité kommen, anbieten können?

Na: Zielgerichtete Therapien und Immuntherapien sind nicht neu, aber mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre wurde definitiv ein neues Zeitalter eingeläutet. Das Feld ist bereits wahnsinnig vielfältig.

Petra Ritter

Förderprogramm

BIH Johanna Quandt Professors

Förderzeitraum

2017 bis 2023

Vorhaben

BIH Johanna Quandt-Professur "Gehirnsimulation"

Fachgebiete

Neurowissenschaft, Computational Neuroscience

Institution

Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 2017

BIH Johanna Quandt-Professorin, Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

2016 bis 2017

Unabhängige Gruppenleiterin, Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

2011 bis 2015

Unabhängige Minerva-Gruppenleiterin (W2), Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig

Status quo ist noch, den Tumor bei Erstdiagnose zu betrachten und sich dann für eine bestimmte Therapie zu entscheiden. Man kann in einer Tumorentität verschiedene Subtypen unterscheiden, hierbei erlauben neue Technologien eine detaillierte molekulare Charakterisierung. Mit dem rasanten Zuwachs an zielgerichteten Therapien und Immuntherapien ergeben sich zudem viele neue Therapieoptionen und -kombinationen. In Bälde werden wir auch Verlaufsinformationen über den Tumor und Patienten standardisiert unter Therapie sammeln und diese in eine personalisierte, dynamische Therapiekonzeptentwicklung einfließen lassen. Solche Verlaufsinformationen helfen hoffentlich auch aufzuklären, warum bestimmte Therapien bei manchen Patienten hervorragend wirken und bei anderen gar nicht, beziehungsweise welche Patienten ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen haben. Im Idealfall ließen sich zukünftig alle Therapie-entscheidenden Verlaufsinformationen über Blutproben nachweisen, aber da sind wir leider noch nicht.

Ritter: Es gibt viele Ursachen für die Entstehung von Krankheiten. Dementsprechend können sich auch die Wege, die ein Patient beschreiten kann, fundamental unterscheiden. Um Vorhersagen für einzelne Patienten machen zu können, müssen wir zunächst ausreichend Daten sammeln und integrieren. Zu diesem Zwecke haben wird die Virtual Brain Plattform gebaut, die von der Europäischen Union mit 15 Millionen Euro gefördert wird. Sie hat zum Ziel, Daten zu neurodegenerativen Erkrankungen aus 17 europäischen Forschungszentren zusammenzuführen. Dazu gehören genetische Daten, die Bildgebung, aber auch Lifestyle-Daten. So arbeiten viele verschiedene Forschungsgruppen mit derselben Software, damit die Ergebnisse vergleichbar sind.

Natürlich wirft das rechtliche und ethische Fragen auf. Daher ist es wichtig, die Gesellschaft zu informieren und Vertrauen aufzubauen. Deswegen verstehe ich es als Teil meiner Forschung, auch nach draußen zu gehen und in einer verständlichen und anschaulichen Weise zu zeigen, was wir machen. Dafür haben wir eine Smartphone-App entwickelt, in der man mithilfe von Neuro-Headsets seine Gehirnaktivität darstellen kann. Mit einer Virtual Reality-Brille kann man quasi ins eigene Gehirn hineingehen. Selbst Kinder finden das spannend. Auf wissenschaftlichen Konferenzen ist unser Stand immer voll von Kindern, die ihre Eltern begleiten. Personalisierte Medizin wird also nur möglich, wenn man mit der Gesellschaft zusammenarbeitet. Ich denke, dass wir in zehn Jahren einen digitalen Avatar eines Patienten bauen können. Il-Kang Na sprach bereits von der longitudinalen Beobachtung eines Patienten. Dafür wäre es eigentlich notwendig, dass man über das gesamte Leben Informationen sammelt.

Scholl: In meiner Forschungsgruppe arbeiten wir vor allem mit gutartigen Tumoren, also kaum an Krebs. Aber auch in diesem Bereich gibt es durchaus interessante Ansatzpunkte, zum Beispiel bei Aldosteron-produzierenden Adenomen, das sind gutartige Tumore der Nebenniere, die das Blutdruckhormon Aldosteron bilden. Schon in den USA konnte ich gemeinsam mit Kollegen zeigen, dass etwa 40 Prozent dieser Adenome Mutationen in einem bestimmten Gen tragen. Momentan versuchen wir, Substanzen zu entwickeln, um die dadurch veränderten Kanäle spezifisch zu hemmen.

Findet dieser Brückenschlag zwischen Grundlagenforschung und Klinik auch im Alltag statt?

Scholl: Die Exom-Sequenzierung, also die Sequenzierung aller Proteinabschnitte des menschlichen Genoms, ist seit gerade einmal zehn Jahren möglich. Heute ist sie im klinischen Alltag bereits etabliert. Bei Neugeborenen mit einer unklaren, womöglich genetischen Erkrankung, ist das möglicherweise sogar schon einer der ersten Schritte zur Diagnose. Vor nicht allzu langer Zeit musste sich dafür ein Kollege ins Labor setzen und per Hand die Skripte schreiben, um die Daten auszuwerten. Heute haben wir dafür eine Core Unit für Bioinformatik am Berliner Institut für Gesundheitsforschung. Ich glaube, dass solche Verfahren in zehn Jahren komplett im Klinikalltag etabliert sein werden. Die digitale Medizin wird gerade in Bereichen wie der Pädiatrie oder Onkologie immer wichtiger.

Na: Die produzierten Daten werden deutlich komplexer, so dass deren Auswertung immer herausfordernder wird. Ein Klinikalltag lässt kaum Raum dafür, so dass wir Experten wie die Core Facilities brauchen, die einem gewisse Arbeiten abnehmen.

Innovation, Interdisziplinarität und Translation waren einige der wenigen Vorgaben, die Ihre Professur laut der Ausschreibung erfüllen sollte. Ansonsten war es Ihnen überlassen, den Fokus Ihrer Professur zu setzen. Wie war das für Sie?

Ritter: Bei klassischen Ausschreibungen fand ich es stets problematisch, dass ich zwischen den Disziplinen angesiedelt war. Im traditionellen, akademischen System ist es so schwierig, für einen traditionellen Fachbereich berufen zu werden. Viele Kollegen aus meinem Feld sind daher ins Ausland gegangen. Deshalb glaube ich, dass es ein wichtiger Aspekt der Ausschreibung war, sonst wären beispielsweise wir drei der Charité entgangen. Dabei spiegeln gerade die interdisziplinären Vorhaben die modernen Entwicklungen in den Lebenswissenschaften wider.

Scholl: Meine Professur hätte es definitiv so nicht gegeben. Ich habe keinen Facharzt gemacht und stets in verschiedenen Gebieten gearbeitet. Einige Kollegen rieten mir sogar, mich für ein Fachgebiet zu entscheiden, damit ich überhaupt berufen werden kann. Das lehnte ich jedoch stets ab, weil ich gerade in der Interaktion zwischen verschiedenen Feldern meine Nische sah. Eine klassische Nephrologie-Professur wäre für mich nicht infrage gekommen.

Na: Bei mir ist es etwas anders. Ich hätte auch die Möglichkeit gehabt, mich für klinische Professuren in der Hämatologie und Onkologie zu bewerben. Dennoch finde ich es gut, einen eigenen Schwerpunkt gesetzt zu haben. So konnte man selbst entscheiden, wofür man stehen möchte. Das müssen wir natürlich jetzt auch verkörpern.

Bemerken Sie im Laufe der Zeit neue Aspekte in Ihrem Forschungsbereich, die Sie so nicht erwartet haben?

Scholl: Bei mir ist es vielleicht besonders, da ich neu nach Berlin kam. Ich habe viele Kollegen und Facilities kennengelernt, die es mir ermöglichen, neue Wege zu gehen. Durch Stefan Mundlos bin ich beispielsweise an das Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien gekommen. Wenn man mir vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich an einem Zentrum für regenerative Therapien arbeiten werde, hätte ich große Augen gemacht. Diese Ansiedlung ermöglicht es mir jetzt, ein Projekt im Bereich der Stammzellforschung anzufangen. Wenn man mir vor zwei Jahren gesagt hätte, dass ich etwas mit Stammzellen machen würde, hätte ich auch das nur schwer glauben können.

Ritter: Berlinern wird oft nachgesagt, dass sie sich schwer von der Stadt trennen können. Es ist aber tatsächlich so, dass ich nun merke, wie sehr man von den Kooperationen profitiert, die man über die Jahre aufgebaut hat. Gerade verändert sich einiges in der Stadt. Außerdem erhöht eine Professur auch die eigene Sichtbarkeit, das eröffnet noch einmal neue Möglichkeiten.

Apropos Sichtbarkeit, Sie sind auch selbst bei Twitter aktiv. Welche Rolle spielen solche Kanäle für Sie?

Ritter: Öffentliche Sichtbarkeit spielt schon eine große Rolle. Bei Kollegen habe ich gesehen, welche Möglichkeiten Plattformen wie Twitter zur Vernetzung und zum Informationsaustausch eröffnen. Beruflich schafft es enorme Vorteile. Früher haben meine Kollegen aus den USA mir immer per E-Mail Informationen von Twitter geschickt, weil ich dort keinen Account hatte.

Scholl: Ich gehöre schon der Generation an, die Facebook nicht mehr nutzt, weil auch meine Mutter dort vertreten ist (lacht). Man sollte aber auch persönliche Interaktionen nicht unterschätzen. Meine besten Kollaborationen kamen zustande, weil man sich bei einer Konferenz getroffen und zusammengesetzt hat. Es liegt in der menschlichen Natur, dass man sich mehr vertraut, wenn man sich schon einmal gesehen oder miteinander gegessen hat. Das Gleiche gilt auch für die Medizin. So wichtig die digitale Medizin ist, sind meine Patienten am glücklichsten, wenn ich mir eine halbe Stunde Zeit nehme und mit ihnen spreche. In einer Praxis bei voller Auslastung kann man das aber gar nicht leisten.

Ritter: Es war ja auch eine der wenigen Vorgaben für diese Professur, dass die Übertragbarkeit in die Klinik im Vordergrund stehen soll. Das hat meine Forschung definitiv beeinflusst und weiter in die translationale Richtung gelenkt.

Na: Für mich ist es durch die Johanna Quandt-Professur möglich geworden, Forschung und Klinik zu verbinden. Das Clinician Scientist-Programm ist eine gute Initiative, aber es muss auch Möglichkeiten geben, dass man diesen Weg weitergehen kann. Die Johanna Quandt-Professuren sind da eine konsequente Weiterentwicklung.

Ist die USA attraktiver für junge Forscherinnen und Forscher, wenn es darum geht, nach der Doktorarbeit weiter Forschung auf einem bestimmten Niveau zu betreiben?

Scholl: Es ist schon wichtig, auch mal sein Heimatumfeld zu verlassen. Man geht anders mit Kollegen aus dem Ausland um, wenn man selbst diese Perspektive kennt. In den USA kann man eine Menge lernen. Die Labore, in die Gastwissenschaftler gehen, sind oft exzellent. Ich glaube nicht, dass es die notwendige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere ist, aber ich persönlich würde es nicht missen wollen.

Ritter: Ich war im Praktischen Jahr dort und man konnte sehr viel mehr machen als hier. Wenn jemand in den USA richtig gut ist, wird dort auch mal ein neues Institut eröffnet. Wenn man schon etwas weiter in der Karriere ist, finde ich es aber wichtig, dass man nicht in die USA gehen muss, sondern auch hier Karrierewege offen hat.

Scholl: Auch in Deutschland habe ich positive Erfahrungen gemacht. Meine Juniorprofessur in Düsseldorf wurde damals neu eingerichtet, weil ich vom Land Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt wurde und Interesse zeigte, dort eine Arbeitsgruppe aufzubauen. Die Johanna Quandt-Professur ist auch auf uns persönlich zugeschnitten. In den USA habe ich andersherum auch schon die Erfahrung gemacht, dass ich auf eine Bewerbung hörte: tolle Bewerbung, aber passt nicht zu unserer Ausrichtung.

Ein weiteres Charakteristikum der Professur war der Tenure-Track. Wie wichtig war das für Sie?

Scholl: Für mich war das eine absolute Bedingung, in Düsseldorf war mir die W2-Professur auf Lebenszeit zugesagt. Zuvor hatte ich zwölf Arbeitsverträge in zehn Jahren. Auch für meine Mitarbeiter ist es von Bedeutung, ob die Arbeitsgruppe langfristig bestehen wird. Die finanzielle Ausstattung der Professur erlaubt es außerdem, eine Grundausstattung an Geräten anzuschaffen. Mit ihnen kann man risikoreiche initiale Experimente durchführen, ohne die man sich nicht für weitere Finanzierungen bei den klassischen Förderorganisationen bewerben könnte.

Ritter: Die Entfristung war wertvoll und wichtig. Irgendwann muss man einfach ein bisschen Sicherheit haben. Ich finde, das müsste es öfters geben und der Trend geht in Deutschland auch dahin. Man muss auch auf das Vertrauen bauen können, das man sich über die Jahre guter Arbeit aufgebaut hat und sich nicht immer wieder durch Befristungen beweisen. Das Gleiche gilt auch für meine Mitarbeiter.

Frau Professorin Scholl, Sie konnte man mit der Professur neu für Berlin gewinnen. Geben Sie uns noch einen Tipp, was für Sie dabei ausschlaggebend war?

Scholl: Es war tatsächlich die Kombination an Möglichkeiten, die man mir hier geboten hat. Der Nieren-Sonderforschungsbereich wurde gerade aufgebaut und ich wurde bereits eingebunden, bevor ich überhaupt zugesagt habe. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Außerdem überzeugte mich die Johanna Quandt-Professur einfach als Konzept. Hinzu kommt die hervorragende Finanzierung. Die Johanna Quandt-Professuren sind von der Ausstattung her international hoch konkurrenzfähig. Ich habe parallel mit Zürich verhandelt, aber Berlin konnte sich mit einer derartig konzipierten und ausgestatteten Professur letztendlich durchsetzen. Darüber bin ich heute sehr froh.

Wir freuen uns auch, dass wir drei so unterschiedliche, spannende Persönlichkeiten wie Sie für die nach der Gründungsstifterin und Unternehmerin Johanna Quandt benannten Professuren gewinnen konnten. Für Ihren weiteren Werdegang und Ihre Forschung wünschen wir Ihnen viel Erfolg und sind auf die Ergebnisse gespannt.

Dezember 2018 / MM