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Die molekularen Motoren des menschlichen Körpers

Schaut man sich die Themen der Spitzenforschung oder die Nobelpreise für Medizin und Chemie der letzten Jahre an, fällt schnell auf, dass sich vieles davon auf der molekularen Ebene abspielt. Oliver Daumke forscht an Proteinen und hat uns im Interview erklärt, warum wir uns die Moleküle genauer anschauen sollten und wie das überhaupt möglich ist. 

Herr Professor Daumke, wofür schaut man sich denn Proteine an?

Proteine übernehmen die wichtigsten Aufgaben in der Zelle. Sie sind Gerüste, kleine Maschinen, Rezeptoren – die meisten Vorgänge in unseren Zellen werden durch Proteine verrichtet. Um zu verstehen, wie eine Zelle oder unser ganzer Körper funktioniert, muss man verstehen, wie Proteine funktionieren. 

Ziel ist es aber dann, Krankheiten zu verstehen?

Wir interessieren uns für die grundlegenden Mechanismen in der Zelle. Viele Krankheiten werden dadurch hervorgerufen, dass diese Mechanismen, also letztendlich die Proteine, nicht mehr funktionieren. Das zu ergründen, ist unser Forschungsschwerpunkt. Zum Beispiel wird die häufigste Form der angeborenen Blindheit, die optische Atrophie, durch eine Mutation in OPA1 ausgelöst, einem Protein, das wir momentan untersuchen.

Was genau erforschen Sie?

Die Zelle wird wie durch eine flüssige Haut durch eine Membran von der Umgebung abgeschirmt. Von der Membran werden immer wieder kleinere Teile abgeschnürt und in die Zelle transportiert, wodurch Stoffe wie beispielsweise Eisen in die Zelle aufgenommen werden. Wir untersuchen diesen Aufnahmemechanismus und die dafür verantwortlichen Proteine. Außerdem forschen wir an Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. Auch sie sind von einer Membran umgeben und müssen ständig ummodelliert werden, um ihre Aufgabe wahrzunehmen. Auch hierfür sind Proteine notwendig.

Wie genau schauen Sie auf die Proteine?

Proteine bestehen aus einer Kette von Aminosäuren. Je nachdem, wie sich diese Ketten falten, können die Proteine ganz unterschiedliche Formen und Funktionen annehmen. Bis vor Kurzem war unsere Hauptmethode die Röntgenstrukturanalyse. Dabei kristallisiert man das Protein von Interesse und beschießt die Kristalle dann mit Röntgenstrahlen. So erhält man ein Streubild, anhand dessen wir am Computer die Struktur des Proteins berechnen können. Inzwischen gibt es eine neue Methode, die ohne Kristalle auskommt, die Kyro-Elektronenmikroskopie. 2017 haben Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson für diese Entwicklung den Nobelpreis erhalten. Man schießt mit einem Elektronenstrahl auf die einzelnen Moleküle und erhält so ein Bild seiner Struktur. Anhand der Struktur versuchen wir dann herauszufinden, welche Funktion das Protein hat und welchen Mechanismus es benutzt.

Oliver Daumke

Förderprogramm
BIH Investment Fund

Förderzeitraum
2015

Fachgebiete
Strukturbiologie, Biochemie, Zellbiologie

Vorhaben
Schnellanalyse von Peptid- und Proteinmengen für biomedizinische Forschung mit dem Bruker Microflex MALDI-TOF

Institution
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

 

Seit 2013
Gruppenleiter am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Sonder-Professur für Strukturbiologie an der Freien Universität Berlin

2007 bis 2013
Unabhängiger Nachwuchsgruppenleiter am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin

2005 bis 2007
Postdoktorand am Laboratory of Molecular Biology in Cambridge mit Harvey McMahon, UK

Was interessiert Sie daran besonders?

Besonders interessant für uns sind Motorproteine, die in der Zelle Arbeit verrichten. Sie binden eine Art zelluläres Brennstoffmolekül, bewegen sich und setzen dabei das Brennstoffmolekül um – wie ein kleiner Motor. Mich fasziniert, wie solche molekularen Maschinen funktionieren. Sie sind viel kleiner als die Wellenlängen des sichtbaren Lichts und wir können sie daher niemals im Lichtmikroskop im Detail sichtbar machen.

Es ist beeindruckend, was die Natur alles erfunden hat, um solche Maschinen herzustellen. Wenn man die Grundlagen der Zelle erforscht, lernt man mehr darüber, wie die Natur funktioniert.

Wer oder was hat Sie denn in Ihrem Werdegang am stärksten beeinflusst?

Ich habe in Freiburg studiert und bin dann nach England an die University of Sussex in Brighton gegangen. Dort arbeitet man in kleinen Gruppen und wir hatten sehr intensive Diskussionen – die Engländer lieben Diskussionen. Dass man einfach Freude daran hat, die wissenschaftliche Arbeit zu diskutieren, hat mich sehr geprägt. Inhaltlich hat mich die Doktorarbeit am meisten beeinflusst. Drei Jahre habe ich damals an einem Projekt gearbeitet, das nicht voranging – es war eine frustrierende Zeit. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, am Ende hat das Projekt dann doch noch geklappt.

Wenn Sie irgendwann in Rente gehen und auf Ihr Leben zurückblicken, was möchten Sie erreicht haben?

Auf dem Gebiet der Strukturbiologie von Motorproteinen haben wir bereits wichtige Fortschritte erzielt. In Zukunft wollen wir vermehrt sehen, wie Proteine, deren Funktionen wir aus dem Reagenzglas kennen, in der Zelle funktionieren. Die Methoden, durch die das möglich wurde, haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt, und wir wollen zu dieser Entwicklung beitragen.

November 2017 / TO und MM